Tolino überholt Amazon bei Marktanteilen, oder doch nicht?
Mit Erfolgsmeldungen sind Unternehmen bekanntlich nicht scheu. Diese teilt man natürlich auch gerne den Marktbeobachtern und der Konkurrenz mit. Auch am eBook-Markt passiert das gelegentlich, so auch gerade mit der Tolino-Allianz.
Wie Buchreport berichtet, wurden auf der Futurebook-Konferenz neue Zahlen zum deutschen Marktanteil vorgestellt. Demnach hat die Tolino-Allianz Amazon bei den eBook-Verkäufen im dritten Quartal 2014 erstmals überholt. Die Tolino-Partner haben den Zahlen entsprechend einen Anteil von beachtlichen 45 Prozent, während es Amazon auf 39 Prozent bringt.
Auffällig ist der Absturz des Versandriesen, denn im vorangegangenen Quartal haben sich offenbar noch 47 Prozent beim Kindle-Angebot bedient. Warum der Anteil innerhalb der kurzen Zeitspanne gleich um 8 Prozentpunkte fällt (siehe Grafik, basierend auf den Buchreport-Zahlen), in einem Zeitraum in dem eigentlich nichts besonders passiert ist, bleibt offen. Aktuell ist ebenfalls nicht klar, wie genau die Zahlen erhoben wurden, allerdings darf man Annehmen, dass diese wie üblich mit den laufenden Konsumentenbefragungen von 20.000 Personen erhoben wurden und repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind.
Tolino-Entwicklung, das Spiel mit den Zahlen
In jedem Fall präsentiert sich die Entwicklung für die Tolino Partner sehr positiv, wenn man nur diese Zahlen betrachtet. Allerdings kann man die Lage auch ein wenig anders interpretieren. Wenn wir einen Blick zurück ins Jahr 2012 werfen, wo die GfK die Marktanteile der einzelnen Tolino-Partner (vor Bildung der Allianz) erhoben hat, dann relativiert sich das aktuelle Bild nämlich wieder. Damals hat es Thalia auf 14 Prozent geschafft, Weltbild hatte 13 Prozent, Bücher.de 5 Prozent, Hugendubel 2 Prozent und Buch.de und Bol.de jeweils 1 Prozent. Amazon lag mit 41 Prozent weit vorne.
In anderen Worten: In Summe schafften es die heutigen Tolino-Partner schon damals auf 36 Prozent. Nachfolgend wird das Ganze visualisiert:
Was ist also im dritten Quartal 2014 geschehen, sodass die Tolino-Allianz einen deutlichen Sprung beim Marktanteil machen konnte? Ganz einfach: Ein neuer Tolino-Partner wurde präsentiert. Auf der Frankfurter Buchmesse wurde Libri als neues Mitglied der Allianz bekanntgegeben, sodass die Chancen gut stehen, dass eBook.de und die an Libri angeschlossenen Buchhändler in den neuen Marktanteil eingerechnet wurden. Das würde auch zu den Zahlen von 2012 passen, wonach es die Tolino-Allianz in der heutigen Konstellation inkl. eBook.de ebenfalls auf 41 Prozent gebracht hätte.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre die Ausweisung der einzelnen Tolino-Partner auch heute natürlich deutlich interessanter und ließe eine bessere Einschätzung zur Marktentwicklung zu.
eBook Reader Marktanteile klären auf
Wie genau diese Marktanteile bei den eBook-Verkäufen zustande kommen, zeigt ein Blick auf die Anteile der eReader.
Im April 2014 haben es die Kindle Geräte in Deutschland auf einen Anteil von 43 Prozent gebracht, der Tolino Shine aber nur auf 12 Prozent. Damit hat sich der junge eReader innerhalb eines Jahres zwar direkt auf Platz 2 hinter Amazon geschoben (was durchaus eindrucksvoll ist), allerdings zeigen diese Zahlen doch eine völlig andere Situation. Rechnet man auch die Zahlen der (damals) in Umlauf befindlichen Sony und Trekstor-Geräte mit jeweils 11 Prozent ein, dann schaffen es die Nicht-Amazon-Geräte (ohne Kobo und PocketBook) schon auf 34 Prozent. Bleiben noch 23 Prozent, die sich auf PocketBook, Kobo & Co. aufteilen. So gesehen überrascht die Verteilung bei den eBook-Verkäufen dann natürlich nicht mehr, denn die meisten Nicht-Amazon-Kunden (immerhin 57 Prozent!) kaufen eben bei der Konkurrenz in Form von Thalia, Weltbild & Co.
Kein Wunder also, dass es die einzelnen Tolino-Partner schon 2012 auf einen durchaus beachtlichen Marktanteil gebracht haben – zusammengerechnet. Wo sonst sollen ePub-Leser ihre eBooks kaufen?
Jedenfalls zeigt die aktuelle Erfolgsmeldung wieder mal recht deutlich, dass man sich bei Statistiken am besten auch ein eigenes Bild zu den zugrunde liegenden Daten machen sollte, denn wie genau diese interpretiert werden, hängt natürlich auch vom jeweiligen Auswertenden ab. Genau genommen lag die Tolino-Allianz im heutigen Zusammenschluss nämlich schon 2012 gleichauf mit Amazon. Das sind aber eben sieben unterschiedliche Verkaufsplattformen (von vier Unternehmen), gegen eine einzige Plattform, eines einzelnen Unternehmens.
Zweifellos hat die Tolino-Marke in Deutschland einen eindrucksvollen Start hingelegt. Man schaffte es bei den Lesegeräten innerhalb eines Jahres auf den zweiten Platz hinter Amazon und hat selbst langjährige Mitbewerber wie Sony hinter sich gelassen. Die kürzlich gestartete Europa-Expansion ist ebenfalls positiv zu nennen und schmeckt Amazon sicherlich nicht.
Unterm Strich lässt sich die jüngste Erfolgsmeldung aber aktuell als „viel Lärm um nichts“ zusammenfassen – zumindest solange nicht klar ist, wie genau die Daten erhoben wurden, wer in die „Tolino-Allianz“ eingerechnet wurde und warum Amazon innerhalb eines Quartals einen so deutlichen Verlust gemacht hat, den es selbst zur Zeit des Leiharbeiterskandals nicht gab. Spätestens nach Weihnachten werden die einzelnen Tolino-Partner sicherlich wieder neue Zahlen präsentieren, die einen genaueren Einblick in die Entwicklung erlauben.