Word Runner integriert Speed Reading in Kindle App – braucht man das?
Übung macht den Meister. Dieses Sprichtwort trifft auf sehr viele Dinge zu, inklusive dem Lesen. Im Normalfall gilt nämlich, dass man schneller liest, je öfter man es macht. Vor einiger Zeit wurde mit „Spritz“ allerdings ein hochinteressantes Konzept vorgestellt, bei dem die Übung zunächst eher zweitrangig ist und das stattdessen mit Hilfe einer softwarebasierten Lösung schnelle Lesegeschwindigkeiten ermöglicht – auch für Personen die ansonsten nicht ganz so flott lesen. So funktionierts: In einem fix eingestellten Bildabschnitt wird in schneller Abfolge immer nur ein Wort nach dem anderen angezeigt. Dadurch, dass die Augen nicht wandern müssen und auf einen Punkt fixiert sind, lässt sich deutlich schneller lesen, als wenn man wie sonst üblich von Wort zu Wort und Zeile zu Zeile wandert.
Für bestimmte Anwendungsgebiete macht das Ganze in meinen Augen auf jeden Fall Sinn – zum Lesen von E-Mails oder Artikeln im Internet kann das sehr praktisch sein – insbesondere im hektischen Alltag kann man so besonders effizient mit der eigenen Zeit hantieren.
Aber auch im eBook-Bereich hat die Vorstellung von Spritz durchaus große Wellen geschlagen, denn die Idee Bücher ebenfalls so schnell lesen zu können, scheint für manche durchaus attraktiv zu sein.
Schnelllesen mit Word Runner
Das hat sich offenbar auch Amazon gedacht und eine entsprechende Speed Reading Funktion in der Kindle App für Android implementiert. Das Ganze wird auch im Zuge der kürzlich vorgestellten Kindle Fire Tablets beworben, hört auf den Namen Word Runner und funktioniert grundsätzlich gleich wie die vorhin erwähnte Spritz-Software.
Die Lesegeschwindigkeit lässt sich zwischen 100 und 900 Wörtern pro Minute individuell anpassen. Durchschnittliche Leser schaffen bei normalem Fließtext üblicherweise zwischen 200 und 250 Wörter pro Minute, gute Leser rund 400 Wörter pro Minute und besonders begabte und geübte Menschen bringen es sogar auf 800 bis 1000 Wörter pro Minute.
Der Versandhändler hat die Speed-Reading-Applikation außerdem erweitert, damit Word Runner eher den Erfordernissen des eBook-Lesens entspricht. Die entscheidende Neuerung dabei ist die Bremse (engl. „Brake“). Tippt man als Nutzer auf den Bildschirm, wird der Wortdurchlauf automatisch pausiert und man kann bei Bedarf dann einfach per Schiebegeste zurückspulen. Kurze Unkonzentriertheit verzeiht das System auf diesem Weg.
Will man das eigentlich?
Aber genau hier liegt das eigentliche Problem des Ganzen, denn eine solche Speed Reading Funktion erfordert ununterbrochene Aufmerksamkeit. Trotz dynamischer Geschwindigkeitsanpassung für kurze und lange Wörter bzw. bei Satzzeichen, letztendlich muss man die Augen aufmerksam in der Mitte des Bildschirms belassen, sonst kann es schon mal passieren, dass man einfach den Faden verliert.
Gerade zum Lesen von Belletristik erscheint die Sache unter diesem Blickpunkt aber ein wenig widersinnig. Zumindest in meinen Augen. Ich persönlich will nicht durch gute Geschichten hetzen bzw. gehetzt werden (!), sondern im Buch versinken und auch mal unvermittelt meine Gedanken schweifen lassen können. Auch wenn in der heutigen Welt immer alles schneller, größer, besser sein muss, beim Lesen in der Freizeit dürfte für die meisten eBook-Nutzer sicherlich der Entspannungswert im Vordergrund stehen und wohl weniger die Zeiteffizienz.
Erschwerend kommt hinzu, dass man sonstige Funktionen (Notizen, Wörterbücher, Fußnoten, etc.) die mittlerweile zum guten Ton am digitalen Buchmarkt gehören, während der Word Runner Ausführung gar nicht nutzen kann. Dafür muss man wieder zurück zum regulären Vollbildmodus. Immerhin wird beim Zurückschalten per Markierung direkt angezeigt, an welcher Stelle man gerade war, sodass man hier keine Zeit verliert …
Nur für ausgewählte eBooks, nicht für eReader
Fairerweise muss man aber natürlich erwähnen, dass es keineswegs gesagt ist, ob Amazon mit der Funktion tatsächlich vornehmlich auf Romane und Geschichten abzielt. Gut möglich, dass vermehrt Sach- und Fachbücher angepasst werden, wo konzentriertes Lesen und Arbeiten ohnehin stärker verbreitet sein dürfte und eine mögliche Zeitersparnis durchaus praktisch sein kann.
Aktuell ist Word Runner nur für ausgewählte englischsprachige eBooks verfügbar. Ähnlich wie X-Ray wird Amazon die Funktion also zunächst am Heimatmarkt etablieren und wohl erst langsam nach Deutschland bringen. Auf einer eigens eingerichteten Informationsseite auf der US-Homepage von Amazon kann man sich das Ganze nochmal in Ruhe ansehen – inkl. Vorstellungsvideo.
Fraglich bleibt, ob es Word Runner auch irgendwann für ein dediziertes Lesegerät geben wird. E-Ink Displays eignen sich grundsätzlich zwar ebenfals für schnelle Bildwechsel, allerdings dürfte der Ghosting-Effekt nach wohl nicht mal hundert Wörtern problematisch werden und störende Bildartefakte zurücklassen bzw. den Kontrast verschlechtern.
Was denkst du – ist Speed Reading als Softwarelösung eine sinnvolle Neuerung für eBook-Apps, oder gehörst du so wie ich eher zu den Personen die lieber zur Entspannung lesen? Lass es uns doch in den Kommentaren wissen!