Gutenberg 3.5 eBook-Warez Bericht weiterhin fragwürdig

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Bereits seit mehreren Jahren wird der sogenannte „Gutenberg“-Bericht zur Bewertung der Situation der eBook-Warez-Szene herausgegeben. Besonders im vergangenen Jahr hat das Thema besondere Aufmerksamkeit erfahren, nachdem die inzwischen geschlossene Plattform boox.to durch ihre Öffentlichkeitsarbeit einem breiten Publikum bekannt wurde.

In Zuge dessen hat einer der Autoren des Gutenberg-Berichts die vom Portal bekanntgegebenen Trafficdaten in Frage gestellt und versucht diese anhand von Alexa- und IVW-Daten zu entkräften. Warum die Methode von vornherein zum Scheitern verurteilt war, habe ich in einem separaten Artikel erläutert. Der darauf gefolgte Gutenberg Bericht 3.4 hat Alexa dann sinnvollerweise als Vergleichsquelle ausgelassen und mit einem anderen Service mit dem Namen „Similarweb“ ersetzt. Vor einigen Tagen ist der neue Gutenberg 3.5 Bericht erschienen und auch dieser wirft wieder ein paar Fragen auf.

Genauer, aber nicht exakt

Im Gegensatz zu Alexa, wo die erhobenen Daten nur mit einem Browser-Plugin erfolgen, nutzt Similarweb laut eigener Aussagen eine Reihe verschiedener Quellen um den Traffic von Webseiten zu schätzen. Und genau da sind wir wieder am gleichen wichtigen Punkt angelangt, wie schon beim letzten Mal: Auch diese Daten sind nur Schätzungen und kein tatsächliches Statistikabbild. Die Daten von Similarweb werden wohl zu einem wichtigen Teil aus den Google-Rankings errechnet, d.h. je nach Position in der Suchmaschine für verschiedene Schlüsselwörter, lässt sich das gesamte Trafficaufkommen schätzen.

Das funktioniert zumindest für Deutschland genauer als die Alexa-Messungen. Allerdings gibt es auch hier eine Reihe von unbekannten Faktoren die im Bericht deutlich klarer erwähnt werden sollten, denn zumindest ein kurzer Abgleich der Similarweb-Daten mit den Google-Analytics-Daten von ALLESebook.de zeigt, dass es (wenig überraschend) auch hier eine Reihe von Ungenauigkeiten gibt. Das fängt beim Traffic-Aufkommen an, geht über die Traffic-Quellen und hört bei den Herkunfsländern der Besucher auf. Diese Dinge werden von Similarweb bestenfalls annhähernd bestimmt, wobei besonders das Verhältnis der verschiedenen Trafficquellen (zumindest für ALLESebook.de) schlicht falsch ist. Auch bei den Trafficdaten liegt man wöchtentlich immer wieder um gut ein Drittel daneben. Es stellt sich außerdem die Frage wie groß die Messschwankungen bei verschiedenen Webseiten sind.

Nachdem der Gutenberg-Bericht auch den Selbstanspruch einer Studie stellt, sollten solche Ungenauigkeiten klar beim Namen genannt und die Daten nicht als vermeintliche Fakten verkauft werden. Besonders wenn man bedenkt, dass illegale Angebote unter Umständen mit Hilfe von Proxy-Servern (bzw. bei boox.to im Tor-Netzwerk) oder des Privatmodus des Browsers genutzt werden, könnten die Trafficdaten noch stärker abweichen als bei unserer Homepage. Erfahrungswerte gibt es hier jedenfalls keine, sodass man die Zahlen mit Vorsicht genießen sollte.

Forenklicks zur Trendmessung

Ein weiterer Punkt der ebenfalls genauer unter die Lupe genommen werden muss, sind die Schätzungen anhand von Klicks auf einen Forenbeitrag in einem bekannten Warez-Forum. Die (klarerweise) laufend wachsenden Hit-Statistiken eines eBook-Threads im betreffenden Forum werden zur Basis für die Bewertung der wachsenden Beliebtheit des illegalen eBook-Angebots genommen. Wenn man allerdings einen genaueren Blick auf die jährliche Entwicklung der Zahlen wirft, dann scheint die „zentrale Rolle“ die dem Warez-Forum im Gutenberg-Bericht u.a. anhand des genannten Foren-Threads beigemessen wird, nicht ganz so gewichtig zu sein.

Wie steht’s um die Nachfrage in einem großen Warez-Forum?

Im Januar 2011 wurde die Hit-Statistik des Threads erstmals im Gutenberg-Bericht erfasst. Das Wachstum hat sich im Jahr 2012 beschleunigt, ist dann aber bis 2014 sogar ein wenig schwächer ausgefallen.

  • 01/2011: 1.049.950 Hits
  • 01/2012: 2.150.055 Hits (+1.100.105; durchschnittlich +91.675 pro Monat)
  • 01/2013: 3.824.116 Hits (+1.674.061; durchschnittlich +139.505 pro Monat)
  • 01/2014: 5.353.516 Hits (+1.529.400; durchschnittlich +127.450 pro Monat)

Ein ganz ähnliches Bild ergibt sich übrigens auch, wenn man die Beitrags- und Thread-Anzahl des eBook-Unterforums ansieht.

Das Horror-Szenario der explodierenden eBook-Warez Nachfrage lässt sich zumindest hier also nicht nachweisen. Eher überraschend ist die Öffnungsrate des Threads im Jahr 2013 zurückgegangen, obwohl der eBook-Markt laut GfK um 60 Prozent gewachsen ist bzw. Thalia und eBook.de sogar ein 80 prozentiges Wachstum verzeichnen konnten. Bei den Buchpiraten scheint das jedenfalls ein wenig anders auszusehen. Hier zeigt sich anhand des Warez-Forums ein Rückgang der Nachfrage – sofern man diese (immerhin verlässlichen) Statistiken als Indikatoren dafür nehmen will – wie es im Gutenberg-Bericht gemacht wird. Vor diesem Hintergrund fällt auch das geschätzte Trafficaufkommen des Warez-Forums mit angegebenen 9 Millionen Visits pro Monat eher unbedeutend aus. Das spiegelt sich auch in der Beitragsanzahl wider: Der eBook-Teil des Forums hat aktuell nur 41.155 Threads bzw. 95.009 Beiträge. Das gesamte Forum 1.004.763 Threads und 5.135.356 Beiträge. D.h. gerade einmal zwischen rund 4,1 Prozent (an den Themen gemessen) bzw. ca. 1,85 Prozent (an den Beiträgen) gemessen, entfallen auf eBooks.

Dabei gilt auch zu erwähnen, dass einer der zuvor genannten „Hits“ keinesfalls einem Download gleichkommt. Der Hit-Counter erhöht sich durch einen einfachen Klick auf den Thread bzw. auch durch diverse Suchmaschinencrawler. Da es sich um ein laufendes Angebot handelt, sind dabei außerdem zweifellos zahlreiche wiederkehrende Besucher dabei die so mehrfach gezählt werden. Wie viele illegale Downloads letztendlich entstanden sind, lässt sich also nicht abschätzen.

Zweifelhafte Schätzungen

Unterm Strich sind diese Schätzungen in meinen Augen daher müßig. Für den größten Fauxpas halte ich aber die Annahme, dass auf jedes gekaufte eBook, zehn illegal heruntergeladene kommen. Besonders wenn man sich vor Augen führt, dass laut GfK im Jahr 2013 rund 20,4 Millionen eBooks verkauft wurden (Umsatz 160 Millionen Euro bei einem Durchschnittspreis von 7,85 Euro).

Gutenberg 3.5: Auf jedes gekaufte eBook kommen zehn heruntergeladene? Wohl kaum …

Wenn auf jedes verkaufte eBook zehn illegale eBooks kommen, wären das insgesamt (unglaubliche) 224,4 Millionen eBooks. Dabei sind legal kostenlos heruntergeladene eBooks noch nicht mal berücksichtigt, die aufgrund des großen gemeinfreien Angebots sicherlich auch einen nicht unbeträchtlichen Teil ausmachen. Jährlich werden am deutschen Buchmarkt allerdings „nur“ rund zwischen 380 und 390 Millionen Bücher verkauft. Diese Zahlen stehen in meinen Augen in keinem wirklich glaubhaften Verhältnis, denn würde das in dieser Form tatsächlich stimmen, dann wäre der deutsche Buchmarkt in den vergangenen Jahren massiv eingebrochen. Tatsächlich liegt der Branchenumsatz seit Jahren aber im Bereich zwischen 9,5 Mrd. und 10 Mrd. Euro jährlich. Würde der illegale eBook-Konsum inzwischen tatsächlich mehr als die Hälfte des regulären Angebots des gesamten Buchmarktes ausmachen, dann sähe das wohl ein wenig anders aus. Wenn man aber natürlich auf diesen Zahlen beharren will, dann kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass die eBook-Piraterie keinen echten Schaden anrichtet.

So oder so: Meiner Meinung nach wird hier Panikmache betrieben. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass man die Augen vor der Entwicklung der eBook-Piraterie verschließen soll, aber so dramatisch wie die Situation in den Gutenberg-Berichten dargestellt wird, ist sie wohl bei weitem nicht. Tatsächlich zeichnet sich anhand der Schätzungen von Similarweb und den Statistiken des Warez-Forums kein wirklich bedeutender Wandel ab.

In erster Linie gilt es für den Buchmarkt daher weiterhin gute Angebote für Nutzer zu schaffen, die sie erst gar nicht auf die Idee bringen, sich in illegalen Foren umzusehen.

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Noch bevor Kindle und Tolino in Deutschland an den Start gegangen sind, hat Chalid seinen ersten eBook Reader im Jahr 2007, aus Begeisterung an der Technik, aus den USA importiert. Als Mitbegründer und Chef-Redakteur hat er seit der Gründung von ALLESebook.de, im Jahr 2010, inzwischen über 100 eReader zahlreicher Hersteller getestet. Mehr erfahren
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