Amazon lässt nichts anbrennen, bringt Tolino in Zugzwang
Feuer am Dach bei der Tolino-Allianz – könnte man sagen. Vor wenigen Tagen habe ich noch eine kurze Abhandlung zur Lage am deutschen eBook-(Reader-)Markt verfasst, dabei auch die Rolle der (ein wenig) strauchelnden Tolino-Partner kurz beleuchtet und festgestellt, dass sich Amazon die (mühevolle) Sanierung der einzelnen Partner entspannt ansehen kann. Immerhin hat der Versandhändler zwei sich gut verkaufende eBook Reader im Angebot.
Ganz offenbar will sich Amazon aber nicht mit dieser einfachen Warteposition zufrieden geben. Das US-Unternehmen hat, wie gestern berichtet, den Preis des Top-Modells Kindle Paperwhite um 20 Euro auf 109 Euro gesenkt. Damit unterbietet Amazon den Tolino Vision um 20 Euro und rückt sehr nah an den bisherigen Preis-Leistungs-Liebling Tolino Shine, der mit 99 Euro einen günstigen Einstieg in den leuchtenden eBook Reader Markt ermöglicht.
Kleiner Aufpreis, großer Mehrwert
Nun bekommt man aber bereits für einen verhältnismäßig kleinen Aufpreis von nur 10 Euro den Paperwhite, mit der besseren Display- und Leuchttechnik und großteils umfangreicheren Funktionsmöglichkeiten (Kindersicherung mit Lesestatistiken, Vokabeltrainer, Online-Übersetzung, Browser mit Lesezeichen und Artikelmodus usw.). Allerdings muss man fairerweise auch den größten Kritikpunkt, nämlich die fehlende ePub-Unterstützung von Amazon negativ erwähnen, die dafür sorgt, dass man sich als Käufer eines Kindle Lesegeräts mangels entsprechender MOBI-Angebote recht eng an Amazon bindet und die Onleihe nicht nutzen kann.
Die Tolino-Allianz bringt diese Preissenkung dennoch erstmals direkt auch langfristig in Zugzwang. Bisher hat Amazon den Preis des Premium-eBook-Readers immer nur zeitweise auf 99 Euro gesenkt, was natürlich auch ein Ärgernis für die Tolino-Partner war, aber zumindest aufgrund der kurzfristigen Laufzeiten keinen allzu Einfluss auf den regulären Wettbewerb hatte. In erster Linie haben dies nämlich meist sowieso nur die eBook-Fans mitbekommen, die regelmäßig im Internet mitlesen.
Kann die Tolino-Allianz mitziehen?
Das ändert sich nun jedenfalls sehr deutlich und bringt für die Tolino-Allianz einige Probleme. Wie im oben verlinkten Artikel erwähnt, befinden sich einzelne Tolino-Partner in Umstrukturierungsmaßnahmen, bei denen mit Sicherheit auch die Tolino-Investitionen am Prüfstand stehen werden. Schon vor dieser Amazon-Preissenkung waren der Finanzaufwand des Tolino-Unterfangens ohne Zweifel enorm. Mitunter daran ist auch der Einstieg des unabhängigen Buchhandels gescheitert.
Da stellt sich jetzt natürlich die Frage, ob die Tolino-Partner ausreichende Mittel zur Verfügung stellen wollen (bzw. können), um ebenfalls eine Preissenkung der eBook Reader durchzuführen und mit Amazon gleichzuziehen. Erschwerend kommt hinzu, dass ein einzelner Partner den Verkaufspreis vermutlich nicht im Alleingang permanent senken kann. D.h. alle Tolino-Partner (auch jene denen es finanziell gerade nicht so rosig geht, bzw. die das Endkundengeschäft einstellen) müssen mitziehen.
PocketBook im Kreuzfeuer
Ein Opfer des Tolino-Amazon Preiskampfes ist dabei ohne Zweifel PocketBook. Der vergleichsweise kleine Anbieter (zumindest in Deutschland) bietet ebenfalls hochwertige eBook Reader an, die in unseren Tests laufend ganz vorne mitmischen – allerdings kosten die Geräte meist etwas mehr als bei der Konkurrenz. Der PocketBook Touch Lux 2 ist für eine unverbindliche Preisempfehlung von 111 Euro erhältlich. Mit dem Preis wurde das Gerät zunächst direkt gegen den funktions- und kontrastärmeren (mit Licht) Tolino Shine positioniert, was den Touch Lux 2 zu einem guten Kauf gemacht hat. Nun muss sich der eReader allerdings auch gegen den Branchenprimus Kindle Paperwhite behaupten, was aufgrund der neueren Technik des Amazon-eReaders deutlich schwerer sein dürfte.
Der lange erwartete PocketBook Ultra startet mit einem Preis von 169 Euro außerdem weit außerhalb des neuen Paperwhite Preisniveaus. Da ist es ebenfalls fraglich, ob das Gerät zu dem Preis – abgesehen bei den PocketBook-Fans und besonders technikversierten Nutzern – wirklich konkurrenzfähig ist. Auch die noch nicht gestartete Buchhändlerplattform Genialokal könnte – schon im Vorfeld – ins Kreuzfeuer geraten. Nicht zu vergessen: Kobo; Glo und Aura sind nun ebenfalls teurer als der Kindle Paperwhite, was den Verkauf der Geräte sicherlich nicht einfacher macht – zumal es um Kobo nach der Umstrukturierung auf Chef-Ebene schon längere Zeit sehr ruhig geworden ist.
Für die Amazon-Konkurrenz ist der Schritt des Versandhändlers zwar alles andere als erfreulich, die Kunden dürfen aber gespannt sein, wie der neu entfachte Preiskampf ausgehen wird. In jedem Fall zeigt Amazon mit der Preissenkung, dass man sich keinesfalls auf die Rolle des Wartenden beschränken möchte, sondern weiterhin den Ton angibt.
Und abschließend beantwortet die Preissenkung wohl auch die in unserem Forum kürzlich stattgefundene Diskussion zu den Produktionskosten des Kindle Paperwhite. Amazon kann den eBook Reader nämlich nicht (legal) dauerhaft unter dem Selbstkostenpreis verkaufen, d.h. die Produktionskosten liegen offensichtlich irgendwo im Bereich um 109 Euro oder darunter.