EuGH erlaubt Netzsperren, Büchse der Pandora geöffnet?

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Der Kampf gegen Piraterie im Internet wird immer härter ausgefochten, nicht zuletzt weil sich die Anbieter der illegalen Dienste in den vergangenen Jahren so weit professionalisiert haben, dass sie in vielen Fällen kaum noch greifbar sind – zumindest nicht kurzfristig.

So auch im Fall von Kino.to, eine der bekanntesten Video-Streaming Webseiten die 2011 recht spektakulär vom Netz genommen wurde. Bevor das geschah, waren die Betreiber aber ebenso für lange Zeit nicht greifbar. Auf der Seite gab es neben vielen anderen, auch den Film „Das weiße Band“. Den Rechteinhabern, dem Filmstudio Constantin Film und der Wiener Filmproduktionsgesellschaft Wega, gefiel die illegale Verbreitung des Films verständlicherweise nicht und hat den Österreichischen Internetprovider UPC per einstweiliger Verfügung verpflichtet, den Zugung zum Streamingprotal für deren Kunden zu sperren.

Netzsperren bei Urheberrechtsverletzungen zulässig

UPC wehrte sich und machte geltend, dass man nur den Zugang zum Internet vermittle und es auch keine Beweise für rechtwidriges Verhalten der Kunden gebe. Der Rechtsstreit wurde bis zum europäischen Gerichtshof ausgefochten, der vor wenigen Tagen entschieden hat, dass eine gerichtliche Anordnung von Netzsperren bei Urheberrechtsverletzungen zulässig ist.

Solche Sperren sind dann nicht nur bei bekannten und vielgenutzten Webseiten legitim, sondern auch als vorbeugende Maßnahme möglich, ohne dass nachgewiesen werden muss, dass die Kunden des Internetanbieters auf die illegal angebotenen Inhalte zugreifen.

In jedem Fall sei der Internetprovider in diesen Fällen als „Vermittler, dessen Dienste zur Verletzung eines Urheberrechts genutzt werden“, anzusehen, wie es in der Begründung des EuGH heißt. Damit sich der Provider nicht selbst schuldig macht, müsse die Vermittung technisch unterbunden werden.

Informationsfreiheit im Internet gefährdet?

Der Aufschrei in der Netzgemeinde war groß, denn viele befürchten, dass mit dem Urteil die Büchse der Pandora geöffnet wurde und die freie Informationsweitergabe im Internet gefährdet ist. Das Urteil könnte als Vorbild zur Durchsetzung weiterer Sperren dienen und so leicht zur Zensur unliebsamer Inhalte führen.

Theoretisch wäre so auch eine Twitter-Sperre möglich, wie sie vor wenigen Tagen in der Türkei umgesetzt wurde. „An sich ist auch Twitter nur eine Website, und es braucht im Prinzip nur jemanden, der findet, dass dieser Nachrichtendienst dazu genutzt wird, urheberrechtlich geschütztes Material zu verteilen“, so der Generalsekretär der Vereinigung Internet Service Provider Austria (ISPA). Weiter: „Die Einführung von Netzsperren zu welchem Zweck auch immer wird zu zahlreichen weiteren Begehrlichkeiten und Maßnahmen in dieser Richtung führen.“

Und tatsächlich scheint die Furcht vor Zensur keineswegs unbegründet zu sein, denn wie zwei Beispiele zeigen, werde schon jetzt versucht das Urheberrecht zu nutzen, um Inhalte vom Netz zu nehmen. So im Jahr 2012 bei Netzpolitik.org geschehen, die vom Deutschen Bundestag aufgefordert wurden, das Gutachten zur Abgeordnetenkorruption das laut Netzpolitik „mit Verweis auf das Urheberrecht geheim gehalten und nicht vom Bundestag veröffentlicht wird“, wieder vom Netz zu nehmen.

Auch vor wenigen Wochen wurde Ähnliches an anderer Stelle versucht. Auf der Homepage von Frag den Staat heißt es: „Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat das Informationsfreiheitsportal FragDenStaat.de (…) wegen der Veröffentlichung einer Stellungnahme abgemahnt, die zuvor vom BMI nach dem Informationsfreiheitsgesetz herausgegeben wurde. Mit diesem Schritt versucht die Bundesregierung das Urheberrecht zu nutzen, um die Berichterstattung über ein brisantes Dokument einzuschränken.“ Dass das kein Einzelfall sein dürfte, wird am Ende der Pressemitteilung deutlich gemacht: „Ein abgezeichneter Beschluss, der uns vorliegt, zeigt außerdem, dass weitere Veröffentlichungen der Stellungnahme anderswo im Internet auch kostenpflichtig abgemahnt werden sollen.“

Mit dem EuGH-Urteil muss sich der (vermeintliche!) Rechteinhaber dann nicht mehr mit dem Homepagebetreiber herumschlagen, sondern könnte die Seite theoretisch komplett vom Netz nehmen lassen. Eine solche Maßnahme dürfte je nach Betroffenem auch schnell zu einem völligen Ende des Angebots führen, denn der Rechtsweg durch alle Instanzen kann Jahre dauern und viel Zeit und Geld verschlingen. Abgesehen von den großen Medienhäusern dürfte ein solcher Fall für viele kleinere Portale das Aus bedeuten.

Netzsperren verbieten?

Es gilt allerdings auch zu sagen, dass das EuGH Urteil nicht zwangsläufig bedeutet, dass es auch zu Netzsperren in den einzelnen Ländern kommen wird, denn hier gilt weiterhin die nationale Rechtssprechung. Allerdings sind Netzsperren in verschiedenen EU-Ländern bereits Realität. Nach Intervention verschiedener Rechteinhaber in Großbritannien, Italien, Irland, Belgien, Finnland und Dänemark wurde das Bittorrent-Portal The Pirate Bay in den genannten Ländern von den Internetprovidern gesperrt.

Eine letzte Möglichkeit die Zulässigkeit des Urteils zu kippen kommt am 3. April, wenn das EU-Parlament über die EU-Telekommunikationsverordnung abstimmt. „Denn wenn dort ein Gesetzesentwurf verabschiedet wird, in dem Netzsperren im Allgemeinen verboten werden, wird das heutige Urteil nicht zum weiteren Einsatz kommen können“, wie es bei Netzpolitik.org heißt. In den wenigen verbleibenden Tagen zur Entscheidung kann man über eine eigens eingerichtete Seite verschiedene EU-Parlamentarier kontaktieren und ihnen das Anliegen der Netzfreiheit näher bringen.

Noch bevor Kindle und Tolino in Deutschland an den Start gegangen sind, hat Chalid seinen ersten eBook Reader im Jahr 2007, aus Begeisterung an der Technik, aus den USA importiert. Als Mitbegründer und Chef-Redakteur hat er seit der Gründung von ALLESebook.de, im Jahr 2010, inzwischen über 100 eReader zahlreicher Hersteller getestet. Mehr erfahren
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