Marktanalyse: Das Ende der eBook Reader … diesmal wirklich, oder?!

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Es gibt gewisse Themen, die scheinen irgendeinen Nerv zu kitzeln. Anders kann ich mir nicht erklären, warum sie es immer wieder mit den gleichen Argumenten in den Blickpunkt schaffen. Neben sehr ernsten gesellschaftspolitischen Dingen gehören dazu auch Themen der Unterhaltungselektronik. Smartphones und Tablets dominieren diese Sparte als umsatzstarke Marktsegmente. Aber auch eBook Reader sind von (tendenziöser) Berichterstattung nicht ausgenommen.

Seit kurzer Zeit macht eine altbekannte Schlagzeile neuerlich die Runde: „eReader sind am Ende“. So oder so ähnlich berichten das zahlreiche, auch renommierte, Medien. Wie kommt’s? Dafür gibt es aktuell zwei Gründe.

Sinkende Verkaufszahlen als zuverlässiger Indikator?

Zum einen hat Bitkom vor wenigen Tagen die Verkaufsprognose für dedizierte Lesegeräte für das heurige Jahr veröffentlicht. Demnach können in Deutschland im Jahr 2015 vermutlich nur 570.000 Geräte abgesetzt werden. 2014 waren es noch 770.000, 2013 1,09 Millionen und 2012 680.000.

eReader Verkaufsprognose für 2015, sieht nicht so gut aus

Da zeichnet sich auf den ersten Blick eine für das Segment problematische Entwicklung ab. Besonders Tablets und Smartphones bedrohen die eBook Reader, denn lesen kann man auf den multifunktionalen Konkurrenten genauso gut – zumindest glauben das viele Analysten.

Was sie bei der Bewertung der Verkaufszahlen allerdings völlig außer Acht lassen: eReader haben eine deutlich längere Halbwertszeit. Der technische Fortschritt ist bei dedizierten Lesegeräten schon immer langsamer vonstatten gegangen. Für viele Besitzer eines funktionierenden Geräts gibt es damit oft keinen besonderen Grund zum frühzeitigen Wechsel. Ich selbst habe jahrelang auf meinen Sony PRS-505 und PRS-650 Geräten gelesen, obwohl es schon längst neuere Modelle gab.

Einen ganz ähnlichen Effekt kann man bei Tablets beobachten. Die Absatzzahlen der Flachcomputer sind nach der Vorstellung des ersten Apple iPad regelrecht explodiert. Im vergangenen Jahr gab es aber bereits erste Anzeichen einer Abkühlung des Wachstums. Auch hier ist der Gerätewechsel bei einer neuen Modellgeneration oft nicht nötig.

Bei Smartphones ist das offensichtlich anders. Jedes Jahr werden neue Modelle vorgestellt, die bei Kamera, Display, Chipsatz, Design und Software Änderungen mitbringen. Diese sind groß genug, um bei vielen Menschen einen Willhaben-Effekt auszulösen. Manche Mobilfunkanbieter sind daher schon dazu übergegangen, beliebte Smartphones auch vor dem Ende der Mindesvertragslaufzeit für bestehende Kunden zugänglich zu machen.

Tablet und eReader nicht exklusiv

Aber: Irgendwann wird in jedem Markt eine gewisse Sättigung erreicht. eBook Reader sind davon nicht ausgenommen, Tablets ebenso wenig und auch bei Smartphones wird es irgendwann so weit sein. Es gibt kein unbegrenztes Wachstum. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Gerätesparte plötzlich ausstirbt. Das passiert höchstens, wenn es einen besseren Ersatz gibt. VHS wurden durch DVDs verdrängt, Kompaktkassetten (durch Minidiscs) durch CDs usw.

Jetzt mag man vielleicht argumentieren, dass dieses Verhältnis auch auf eReader und Tablet zutrifft. Auf Flachcomputern kann man auch lesen. Das wird zudem immer wieder in verschiedenen Umfragen bestätigt: Besitzer eines Tablets lesen darauf auch digitale Texte. Das ist der Hauptgrund, weshalb bereits vor einigen Jahren das Ende der eBook Reader vorhergesagt wurde.

Ein grundsätzliches Verständnisproblem scheint auf Seiten der Analysten aber bei der Rolle von dedizierten Lesegeräten und Tablets vorzuliegen. Viele glauben zu wissen, dass eBook Reader gegenüber Tablets (und großen Smartphones) keine Vorteile bringen und deshalb kannibalisiert werden. Fakt ist jedoch, dass eReader weiterhin das bessere, papiernähere und augenschonendere Leseerlebnis bieten.

In dem bereits gut gesättigten US-Markt haben sich dedizierte Lesegeräte längst einen Fixplatz am Unterhaltungselektronikmarkt gesichert. Die Tabletkonkurrenz schien nur marginalen Einfluss auf den Verkaufserfolg zu haben. Auch in Deutschland sieht die Sache ähnlich aus: Die Wachstumsjahre der eReader (2011-2014) waren gleichzeitig auch die erfolgreichsten des Tablet- und Smartphones-Marktes. Schon eigenartig, oder?

Verkaufszahlen von Smartphones und Tablets in Deutschland; Quelle: Bitkom

Auch die jüngste Bitkom-Umfrage bestätigt dieses Bild indirekt: Demnach nutzen 34 Prozent der Digitalleser eReader zum Lesen von eBooks. 38 Prozent verwenden das Smartphone und nur 20 Prozent den Tablet-PC. Dabei ist allerdings fraglich, was unter dem Begriff eBook zusammengefasst wird. Zählen dazu auch beliebige PDF-Texte die man im Internet zuhauf findet, oder handelt es sich ausschließlich um in Shops gekaufte Werke?

62 Prozent der Befragten lesen am stinknormalen PC? eBooks? Oder werden hier auch beliebige PDF-Dateien aus dem Internet eingerechnet?

41 Prozent der Befragten geben nämlich an, dass sie am Notebook lesen, 21 Prozent lesen auch am stationären Heimcomputer. Weiterhin geben 78 Prozent an, dass sie nur auf einem einzigen Gerät lesen. Rechnet man die Anteile um, so kommt man auf rund 38 Prozent der Befragten, die Belletristik am Computer lesen. Das halte ich persönlich für … unwahrscheinlich. Letztes Jahr sah das Verhältnis übrigens noch ganz anders aus.

Kundennachfrage eindeutig

Solche Konsumanalysen sind damit zwar immer sehr interessant, aber nicht ganz so eindeutig, wie das oft suggeriert wird. Wenn man den Blick nicht auf die Konsumenten, sondern auf die Hersteller richtet, dann gibt’s eigentlich keinen Zweifel am Erfolg der eBook Reader.

Amazon hat in den vergangenen Jahren – seit dem ersten Kindle – regelmäßig neue Lesegeräte vorgestellt, die sich (der Anzahl der Kundenbewertungen nach) ausgesprochen großer Beliebheit erfreuen. Nicht nur in den USA, sondern auch in allen anderen Ländern. Das Tablet-Geschäft läuft hingegen schleppend. Amazon gehört hier zu den größten Verlierern. Das ist wohl auch der Grund, warum der Versandriese mit der neuen Fire-Generation auf die Billigschiene umgestellt hat. Gleichzeitig läuft das Kindle-eBook-Geschäft aber weiterhin bestens.

Die Tolino-Allianz ist zunächst mit dem Tolino Shine an den Start gegangen, später hat man zwei Tablets (Tolino Tab 7 und Tab 8,9) ins Sortiment aufgenommen. Mit dem nächsten Produktzyklus wurde auf einen Flachcomputer (Tolino Tab 8) reduziert, behielt aber zwei dedizierte Lesegeräte (Tolino Shine und Vision 2) im Sortiment. In wenigen Tagen wird man zudem wieder zwei neue eReader vorstellen: Tolino Shine 2HD und Tolino Vision 3HD. Vermutlich wird nur ein Tablet vorgestellt werden.

Kobo hat in den vergangenen rund 12 Monaten drei neue Lesegeräte auf den Markt gebracht (Kobo Aura H2O, Glo HD und Touch 2.0) und die beiden Tablets (Kobo Arc 7 HD und Arc 10 HD) aus dem Sortiment genommen.

PocketBook hat im vergangenen Jahr sieben eBook Reader vorgestellt, aber nur drei Tablets. Im heurigen Jahr gab es nur eine eReader-Neuvorstellung (PocketBook Touch Lux 3) und kein neues Tablet.

Wie man sehen kann, setzen alle wichtigen eBook-Anbieter weiterhin primär auf dedizierte Lesegeräte. Amazon hat zwar eine Reihe unterschiedlicher Tablet-PCs im Sortiment, die sind allerdings dazu da, um das multimediale Angebot (Filme, Serien, Musik, Apps) zu stärken. Wie vorhin erwähnt, ist das Segment für Amazon aber alles andere als eine Erfolgsgeschichte.

Und natürlich ist da noch der größte stationäre Buchhändler der USA zu nennen. Barnes & Noble hat vor einigen Jahren den Analysen geglaubt und eBook Reader vorschnell abgeschrieben. Anstatt die Entwicklung dedizierter Lesegeräte weiter voranzutreiben, hat man zwei durchaus hochwertige Tablets ins Sortiment aufgenommen. Diese konnten letztendlich trotzdem nur mit massiven Abschlägen verkauft werden. Das ging sogar so weit, dass man den Nook Touch gratis zum Tabletkauf beigelegt hat. Zeitgleich sanken die Marktanteile am US-eBook-Markt drastisch. Mittlerweile liegt das Nook-Geschäft in Trümmern – trotz jahrelang toller Tablet-Angebote.

Zu guter Letzt will ich auch Sony nennen: Der japanische Elektronikkonzern hat sich vollständig vom internationalen eBook-Markt zurückgezogen, obwohl man im Vorfeld Tablets und insbesondere Smartphones forciert hat. Wenn diese beiden Gerätegattungen eine wirklich so enorm große Bedeutung für den digitalen Lesemarkt hätten, wieso ist das eBook-Geschäft trotzdem fehlgeschlagen? In Europa hatte man immerhin mehrere Shop-Lösungen am Start, eine gute Marktdurchsetzung bei den eReadern und auch eine Android-App stand zur Verfügung. Beste Voraussetzungen für ein erfolgreiches eBook-Geschäft auf Smartphones und Tablets, oder?

Gleichzeitig darf man sich auch die Frage stellen, weshalb Apple, Samsung & Co. keine nennenswerten Marktanteile am digitalen Buchmarkt besitzen, obwohl die Unternehmen den Smartphone- und Tablet-Markt bescherrschen.

Somit kann man hier abschließend festhalten: eReader sind weiterhin das Standbein des digitalen Buchmarktes. Es mag schon sein, dass auch auf Tablet und Smartphones gelesen wird, allerdings scheint die Signifikanz überschätzt zu werden. Barnes & Noble ist das beste Beispiel dafür.

Waterstones geht auf Distanz zu Kindle

Nun kommen wir noch zum eingangs erwähnten, zweiten Punkt: Waterstones nimmt die Kindles aus dem Sortiment. Bisher hatten Amazon und der britische Buchhändler beim Verkauf der eBook Reader zusammengearbeitet. Bereits Anfang des Jahres äußerte sich der CEO der Buchhandelskette kritisch gegenüber den Verkaufszahlen der dedizierten Lesegeräte.

Auch damals schnappten einige Medien diese Aussagen auf und sagten das Aus der dedizierten Lesegeräte voraus.

Wie The Bookseller berichtet, zieht Waterstones nun einen Schlusstrich. Weil die Kindle Verkäufe „jämmerlich“ sind, will man den Platz in den Läden lieber für gedruckte Bücher verwenden. Die haben nämlich wieder um fast 5 Prozent zugelegt. Ins gleiche Horn bläst auch Blackwell. Dort verkaufen sich eReader ebenfalls nur noch sehr schlecht.

Zu guter Letzt kommt in dem Artikel auch ein Analyst zu Wort, der eBook Reader die vielleicht am kürzesten lebende Unterhaltungselektroniksparte nennt.

Klingt erstmal tatsächlich problematisch, ist es aber nach fundierter Betrachtung keineswegs. Blackwell verkauft Barnes & Noble Geräte. Wie vorhin bereits erwähnt, musste der US-Buchhändler schon am Heimatmarkt reichlich Federn lassen. Es kommt nicht überraschend, dass dies in Europa gleich ist. Der aktuell erhältliche Nook Glowlight war schon zum Start technisch veraltet und Tablets werden mehrheitlich nun mal nicht bei Buchhändlern gekauft.

Bei Waterstones dürften wiederum ein paar andere Dinge zum Ende der Amazon-Partnerschaft geführt haben. Die Zusammenarbeit sorgte schon 2012 für ein paar erstaunte Gesichter. Immerhin steht der Versandriese in direkter Konkurrenz zum stationären Buchhandel. 2012 lief dann wegen fraglicher Steuerkonstrukte und Arbeitsbedingungen sogar die „Boycott Amazon„-Kampagne.

Aber mehr noch: Das Kindle-System ist vollkommen abgeschottet. Es ist völlig unklar, wie die monetäre Kompensation aussah. Wahrscheinlich hat Waterstones sowohl für den Verkaufsraum in den Buchläden, als auch für nachfolgende eBook-Verkäufe Geld erhalten. Ebenso wahrscheinlich ist es allerdings, dass die Umsatzbeteiligung zeitlich begrenzt ist.

Ähnlich handhabt der Versandriese das auch bei Amazon Source. Das Programm bietet unabhängigen US-Buchhändlern die Möglichkeit, Kindle Geräte ins Sortiment aufzunehmen. Im Gegenzug bekommen sie für zwei Jahre 10 Prozent an den Folgeumsätzen. Für Amazon ein langfristig lukratives Geschäft, für die Buchhändler nur so lange, wie die Geräteverkäufe am gleichen (hohen) Niveau bleiben. Während der gesamten Zeit schneidet man sich aber jedenfalls ins eigene Fleisch, denn man verhilft dem Hauptkonkurrenten direkt zu neuen Kunden.

Sollten Waterstones und Amazon eine ähnliche Vereinbarung getroffen haben, kommt der Einbruch der stationären Kindleverkäufe auch einem mittelfristigen Wegfall der eBook-Einnahmen gleich. Da macht es natürlich Sinn, wenn man sich wieder auf die eigene Kernkompetenz konzentriert.

Waterstones betreibt einen ePub-Shop …

In dem Zusammenhang ist es aber noch erwähnenswert, dass Waterstones einen eigenen ePub-Shop betreibt. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Buchhandelskette verkauft Kindle Lesegeräte, verkauft auf der eigenen Homepage aber eBooks im ePub-Format. Das ein solch (verzeiht die Wortwahl) hirnrissiges Vertriebskonzept nicht von Erfolg gekrönt ist, sollte wirklich niemanden wundern. Wie man die Multichannel-Strategie richtig umsetzt, zeigt die Tolino-Allianz.

Da der Internetversandhandel mittlerweile noch deutlich besser etabliert ist, als im Jahr 2012, würde es mich nicht überraschen, wenn sich die Kindle-Verkäufe stärker ins Netz verlagert haben. Wenn man einen Blick auf die britische Amazon-Homepage wird, dann scheint sich diese Vermutung zu bestätigen. Alle drei erhältlichen Kindle-Modelle erhalten laufend neue Kundenbewertungen. Der Kindle Touch, der in Deutschland kaum vom Fleck zu kommen scheint, ist in Großbritannien sogar das erfolgreichste Modell. Eine nennenswerte Verlangsamung der Verkäufe scheint es im Vergleich zu den Vorjahren jedenfalls nicht zu geben.

eBook Reader und Tablets werden verschmelzen

Unterm Strich bleibt also festzuhalten, dass man die vorliegenden Daten durchaus so interpretieren kann, um ein Ende des eReader-Segments vorherzusagen. Andererseits hört man die gleichen Argumente bereits seit über drei Jahren und die Marktentwicklung der wichtigsten eBook-Anbieter präsentiert sich ganz anders.

Dennoch: Ich persönlich habe auch keinen Zweifel daran, dass dedizierte eReader irgendwann vom Markt verschwinden werden. Zumindest in der jetzigen Form. In Zukunft wird es Displaytechnologien geben, welche die Vorteile von E-Paper und handelsüblichen LCDs vereinen. Wenn es so weit ist, dann wird die Grenze zwischen Tablet und eBook Reader verschwimmen.

Die bisherigen Versuche (Qualcomm Mirasol, Notion Ink Adam …) eine solch kombinierte Gerätegattuung zu etablieren sind wegen der wenig überzeugenden Umsetzungen bisher kläglich gescheitert. Aktuell ist bekannt, dass Amazon an der Liquavista-Technik arbeitet, sowie Qualcomm weiterhin die hauseigene Mirasoltechnologie verbessern und zur Marktreife bringen will. Auch Japan Display forscht in die gleiche Richtung.

Bis es so weit ist, werden aber wohl noch mehrere Jahre ins Land ziehen. Bis dahin wird wohl auch die E-Ink Technik laufend weiter entwickelt werden, sodass es auch immer wieder einen Grund gibt, irgendwann zu einem noch besseren dedizierten Lesegerät zu wechseln. Ein völliges Aus der eReader kann man mit einem Blick auf die bisherige Marktentwicklung in meinen Augen ausschließen.

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Noch bevor Kindle und Tolino in Deutschland an den Start gegangen sind, hat Chalid seinen ersten eBook Reader im Jahr 2007, aus Begeisterung an der Technik, aus den USA importiert. Als Mitbegründer und Chef-Redakteur hat er seit der Gründung von ALLESebook.de, im Jahr 2010, inzwischen über 100 eReader zahlreicher Hersteller getestet. Mehr erfahren
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