Tolino und die Offenheit … na, wo ist sie?

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Der Tolino Shine ist seit März dieses Jahres auf dem Markt und verkauft sich laut Aussage der Tolino-Allianz offenbar blendend. Mit dem letzten Update wurde der hardwaretechnisch gute eBook Reader auch in Hinblick auf die Software verbessert und schließt so funktionstechnisch langsam aber sicher zur Konkurrenz auf.

Für uns Kunden ist dies natürlich eine tolle Sache, denn der Tolino Shine stellt so eine kostengünstige und immer leistungsfähigere Alternative zu Kobo, Amazon oder Pocketbook dar. Dabei wirbt die Tolino Allianz besonders mit einem vermeintlichen Alleinstellungsmerkmal des Geräts, nämlich der Offenheit. Bei einem genaueren Blick entpuppt sich diese Offenheit aber mehr als Schein, denn als Sein.

ePub in Geiselhaft von Adobe

Auf der offiziellen Tolino-Homepage wird der Tolino Shine mit dem Attribut „Offenes System für maximale Freiheit“ beworben. Das verspricht natürlich einiges, aber auf den zweiten Blick wird schnell klar, dass es sich dabei eigentlich nur um einen sehr großzügigen Hinweis auf die ePub-Nutzung des Geräts handelt.

Damit will man sich in erster Linie von Amazon abgrenzen. Der Versandhändler setzt nämlich auf das AZW-Format, das auf dem Mobi-Standard basiert – und das wird seit dem Kauf des französischen Mobipocket Unternehmens im Haus weiterentwickelt.

Die Festlegung des Tolino Shine auf das ePub-Format ist natürlich legitim und in Anbetracht der Marktdurchsetzung auf jeden Fall zu begrüßen. Allerdings befindet sich das Format in Geiselhaft von Adobe, denn deren DRM-System führt die eigentliche Offenheit des Standards ad absurdum. Wer nun meint, dass man sowieso auch DRM-frei einkaufen kann, der hat natürlich recht, aber Fakt ist, dass mit Adobe DRM geschützte ePub-Dateien deutlich in der Überzahl sind.

Fast 90 Prozent der eBooks sind mit Adobe DRM versehen; Quelle: libreka!

Das verdeutlicht auch ein Blick auf das Angebot von Libreka. Dort werden zum heutigen Tag 884.996 eBooks angeboten, wovon 794.586 Titel mit dem Adobe Kopierschutz versehen sind. Das entspricht einem Anteil von fast 90 Prozent. Immerhin 76.841 eBooks nutzen „weiches“ DRM in Form digitaler Wasserzeichen und weitere 13.379 Titel sind gänzlich frei von DRM.

Also gerade einmal 1,5 Prozent der angebotenen eBooks sind völlig frei von DRM und lassen sich ganz ohne Einschränkungen (abgesehen von den üblichen Lizenzbestimmungen) nutzen. Immerhin 10 Prozent nutzen keinen „harten“ Kopierschutz.

Diese Zahlen beziehen sich jetzt zwar nur auf Libreka, die als einziger Anbieter so offen sind die Statistiken auszuweisen. Aber man darf annehmen, dass die Aufteilung auch bei allen anderen großen deutschen eBooks Shops ganz ähnlich aussieht.

Offenes System für maximale Freiheit

Jedenfalls deutet sich damit an, dass die „Offenheit für maximale Freiheit“ beim Tolino Shine so gesehen eigentlich keine ist. Die Offenheit bezieht sich lediglich auf die Möglichkeit bei verschiedenen eBook-Shops einzukaufen, die auf das geschlossene Adobe-DRM-Format setzen.

Genau genommen ist das System damit zum aktuellen Zeitpunkt kaum offener als das Kindle-Ökosystem von Amazon. Amazon nutzt zwar einen proprietären DRM-Schutz, aber erlaubt es genauso eBooks von fremden eBook-Shops auf dem eBook Reader zu nutzen. Diese müssen eben im Mobi-Format vorliegen und können sofern sie nicht direkt über Amazon vertrieben werden, eben nur ohne DRM verkauft werden.

Der einzige Grund warum man nur bei wenigen externen Shop eBooks für den Kindle kaufen kann, liegt einfach darin begründet, dass man sich dort dazu entschlossen die eBooks nicht DRM-frei im Mobi-Format anzubieten. Die Möglichkeit dazu bestünde jedenfalls. Ein Beispiel für ein solches DRM-freies Angebot inkl. Mobi-Format ist Beam-eBooks.

Für den Endkunden macht die Form des DRM-Schutzes im reinen Lesebetrieb jedenfalls keinen Unterschied. Erst bei einem Gerätewechsel ist dieser Aspekt wichtig, was aber nichts daran ändert, dass Adobe DRM für den Endkunden nicht offener oder besser ist als das Amazon-System.

Die angepriesene maximale Freiheit des Tolino Shine ist so jedenfalls kaum mehr als ein Lippenbekenntnis mit Fußnote und Verweis auf Adobe DRM. Es ist natürlich fraglich wie viel Einfluss die einzelnen Händler auf die DRM-Nutzung der Verlage haben, aber man sollte meinen, dass die geballte Kraft von Thalia, Weltbild, Hugendubel und der Telekom imstande ist, etwas am Status quo zu verändern.

Offenes Android Betriebssystem!?

Der zweite Punkt den man ebenfalls ansprechen muss, ist die (angebliche) Offenheit des Betriebssystems. Im Datenblatt zum Tolino Shine wird auf der offiziellen Tolino-Homepage das Android-Betriebssystem angeführt. Das ist für sich genommen natürlich völlig legitim. Allerdings folgt die Angabe mit einem Zusatz der in der Ausführung des Tolino Shine kaum als richtig erachtet werden kann. Dort heißt es nämlich: Offenes Android Betriebssystem.

„Offenes Android Betriebssystem“ heißt es auf der offiziellen Tolino Homepage; Quelle: tolino.de

Es stimmt natürlich, dass das Android Betriebssystem grundsätzlich offen ist, aber für den Tolino Shine stimmt diese Angabe jedenfalls nicht. Der eBook Reader erlaubt z.B. keine App-Installationen, was man wohl als Grundvoraussetzung für die Offenheit eines Systems sehen kann. Man kann ebenso wenig auf die übliche Android-Bedienoberfläche zugreifen.

Außerdem wurde der Browser des Tolino Shine offenbar gezielt im Funktionsumfang beschnitten. Der Android Gingerbread Stock-Browser erlaubt es nämlich normalerweise Lesezeichen zu erstellen – beim Tolino Shine fehlt diese Option aber gänzlich. Dank des „kundenfreundlichen offenen Systems“ soll man angeblich kinderleicht die Möglichkeit haben eBooks auf den Tolino Shine zu kopieren. Unter „kinderleicht“ verstehe ich jedenfalls etwas anderes, als im Browser jedes mal die URLs eingeben zu müssen, um zu alternativen eBook-Shops zu gelangen. Aber damit meint man wohl einfach nur die Option per USB Dateien in den Speicher zu verschieben.

Den Root-Zugriff den man mit Firmware 1.0 und 1.1 noch erlangen konnte, gibt’s bei der aktuellen Firmware 1.2 auch nicht mehr. Damit hatte man tatsächlich vollen Zugriff auf ein offenes System. Hier kann man aber zumindest zugunsten der Tolino-Allianz festhalten, das dieser Zugriff nur durch eine Sicherheitslücke ermöglicht wurde und diese im Sinne der meisten Nutzer und einer besseren Sicherheit verschlossen werden musste.

Was bleibt?

Dennoch bleibt unterm Strich festzuhalten, dass die angepriesene Offenheit des Tolino Shine für „maximale Freiheit“ im Grunde nicht viel mehr bietet als die Angebote von Kobo oder PocketBook. Genau genommen bieten Kobo und PocketBook mit Modifikations- und Erweiterungsmöglichkeiten sogar mehr Freiheit und Offenheit, zumal PocketBook neben ePub-Dateien auch noch eine Vielzahl anderer Dateiformate unterstützt.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass es sich hierbei um keine Hetzschrift gegen die Tolino-Allianz oder den Tolino Shine handeln soll. Im Gegenteil: Ich begrüße den Fokus den man sich gesetzt hat. Nur an der Umsetzung hapert es und diese Mängel stelle ich hier an den Pranger. Der Tolino Shine ist seit dem letzten Update besser denn je, erfüllt aber einfach nicht das (Marketing-)Versprechen der Offenheit, wie man es sich wünschen würde. Die maximale Freiheit geht aktuell eben nur bis zum Adobe Kopierschutz und den festgelegten Einschränkungen des Betriebssystems.

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Noch bevor Kindle und Tolino in Deutschland an den Start gegangen sind, hat Chalid seinen ersten eBook Reader im Jahr 2007, aus Begeisterung an der Technik, aus den USA importiert. Als Mitbegründer und Chef-Redakteur hat er seit der Gründung von ALLESebook.de, im Jahr 2010, inzwischen über 100 eReader zahlreicher Hersteller getestet. Mehr erfahren
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