Lernt Amazon aus dem Fire Phone Fehlschlag?

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Nach jahrelangen Spekulationen hat Amazon im Jahr 2014 (endlich?) ein eigenes Smartphone auf den Markt gebracht. Branchenbeobachter wussten allerdings schon vorher, dass es sich dabei um kein gewöhnliches Telefon handeln würde. Stattdessen zielt der Versandriese – wie auch bei den Tablets – darauf ab, das Gerät besonders eng an das bestehende Amazon Ökosystem zu binden, sodass Filme, Serien, Musik, eBooks, Spiele und Apps direkt und ohne Umwege bezogen werden können.

Neben der soliden Technik (Snapdragon 800, 2GB Ram, 13 MP Kamera) sollte als Alleinstellungsmerkmal die 3D-Perspektivendarstellung des Betriebssystems bzw. einiger Apps die Kunden überzeugen. Mit vier Kameras auf der Vorderseite verfolgt das Gerät die Bewegungen des Nutzers um die Displayansicht entsprechend anzupassen. Was in der Theorie zumindest interessant klingt, hinterließ bei den meisten Testern in der Praxis nicht das erhoffte AHA-Erlebnis. Meist wurde der Effekt zwar als interessante Neuerung gelobt, der fehlende praktische Alltagsnutzen wog dann allerdings schwerer (negativ).

Große Ambitionen, kleiner Gegenwert

Das größte Problem des Geräts war dabei aber ohne Zweifel der höchst ambitionierte Marktzugang Amazons. Das Telefon war nicht nur extrem teuer, sondern auch nur exklusiv bei einigen wenigen Mobilfunkanbietern erhältlich. Hier hat man sich ganz offensichtlich Apple zum Vorbild genommen, die mit dem Start des iPhones (im Jahr 2007!) eine ganz ähnliche Strategie verfolgt haben. Damals hat es geklappt – einerseits weil Apple auf eine besonders treue Fangemeinde bauen konnte, andererseits weil das erste iPhone tatsächlich viele sinnvolle Neuerungen (u.a. gut reagierender kapazitiver Touchscreen, schneller Browser, besonders einfache Bedienbarkeit) gebracht hat.

Der hohe Preis, die Provider-Exklusivität und der SIM-Lock haben letztendlich dafür gesorgt, dass die allermeisten Kundenrezensionen des Fire Phone negativ ausgefallen sind. Nur 2,6 Sterne hat das Fire Phone letztendlich gesammelt – so wenig wie kein anderes Amazon-Produkt zuvor. Spätere Schätzungen über die Verkaufszahlen sahen ebenfalls nicht besonders gut aus.

Amazon hat sich das Spektakel allerdings nicht lange angesehen: Im November 2014 senkte man den Preis des Fire Phones auf 199 US-Dollar – weiterhin inkl. 1 jähriger Prime-Mitgliedschaft im Wert von 100 US-Dollar und erstmals ohne SIM-Lock. Anstatt den Kopf in den Sand zu stecken und den Fehlschlag zu ignorieren, hat man sich in die Offensive begeben. Gleichzeitig – und das war wohl das erste Mal, dass so etwas geschehen ist – hat Amazon eine neue Produktseite eingerichtet. Anstatt das vergünstigte Gerät mit vorwiegend negativen Kundenrezensionen weiterzuverkaufen, konnten Käufer nun neue Bewertungen abgeben.

Die Moral von der Geschicht‘ … ??

Und tatsächlich zeigt sich der Richtungsschwenk der Verkaufsstrategie auch in einer höheren Kundenzufriedenheit. Anstatt einer schlechten 2,6-Stern-Bewertung liegt das Fire Phone dank neuer Produktseite heute bei vergleichsweise sehr guten 4,0 Sternen (in den USA). Nun darf man sich fragen, ob Amazon aus dem Fehlschlag lernt und man als Kunde auf einen Kurswechsel der Mobilstrategie rechnen darf.

Der Abverkaufserfolg des Fire Phone (für effektiv 99 Euro, wenn man die Prime-Mitgliedschaft abzieht) zeigt nämlich vor allem eines: Wenn man ein funktional beschnittenes Gerät auf den Markt bringt, dann muss sich dies auch im Preis widerspiegeln. Kunden sind ganz offensichtlich gewillt, einige Nachteile in Kauf zu nehmen, wenn der Preis stimmt. Für einen Premium-Preis erwarten sich die Interessenten aber wiederum ganz besondere Funktionen und Neuerungen (die 3D-Perspektive ist offensichtlich keines von beidem). Das High-End-Segment mit einem geschlossenen System bedient jedoch schon Apple und ein offenes System (Android) inkl. Premium-Hardware gibt’s im Grunde bei allen anderen (Samsung, Sony, HTC …). Irgendwo dazwischen liegt das weiterhin wenig erfolgreiche Windows-Phone von Microsoft.

Wieso sollte man bei guter (aber letztendlich nicht hervorstechender) Hardware und z.T. deutlich eingeschränkter Softwarefunktionalität also zum Fire Phone greifen? Diese Frage hat man sich im Amazon-Hauptquartier offensichtlich nicht wirklich gestellt. Gleichzeitig bekommt der Versandriese für die gleiche Strategie auch bei den Tablets die Rechnung präsentiert, denn die Verkaufszahlen sind laut IDC-Analyse im Jahr 2014 drastisch zurückgegangen. Mit ein Grund ist dabei ohne Zweifel die gewachsene Billig-Konkurrenz. Viele kleine Hersteller bieten besonders günstige, aber gleichzeitig ausreichend leistungsfähige Geräte mit offenem Android-System. Als Amazon mit dem Fire-Tablets an den Start ging, war man selbst der Preisbrecher – heute ist man das trotz des vergrößerten Tablet-Sortiments nicht mehr bzw. nur noch sehr eingeschränkt. Auch hier gilt: Wieso sollte man sich ein Fire Tablet kaufen, wenn man zu einem ähnlichen Preis die unveränderte Android-Bedienung nutzen kann?

Es wird somit interessant sein zu sehen, ob Amazon aus den jüngsten Fehl- und Rückschlägen etwas lernen wird und auch gewillt ist, einen (möglicherweise radikalen) Richtungswechsel durchzuführen. Wie man das eigene Ökosystem sinnvoll in das bestehende Android-System integrieren kann, zeigt das Tolino Tab 8. Aber selbst wenn man nicht so weit gehen möchte, so wäre Amazon gut beraten, wenn man die reguläre Android-Bedienung in weiten Teilen wiederherstellt (d.h. Homescreen-Launcher mit Wallpaper und App-Drawer, ohne App-Karusell; Widgets und sonstige Anpassungsmöglichkeiten).

Klar ist jedenfalls, dass der Versandriese am Smartphone-Geschäft festhalten will. In welcher Form das geschieht, bleibt aktuell allerdings offen. Was muss deiner Meinung nach geschehen, damit Amazon auch am hart umkämpften Smartphone-Markt Fuß fassen bzw. den Abwärtstrend bei den Tablet-Verkäufen stoppen kann?

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Noch bevor Kindle und Tolino in Deutschland an den Start gegangen sind, hat Chalid seinen ersten eBook Reader im Jahr 2007, aus Begeisterung an der Technik, aus den USA importiert. Als Mitbegründer und Chef-Redakteur hat er seit der Gründung von ALLESebook.de, im Jahr 2010, inzwischen über 100 eReader zahlreicher Hersteller getestet. Mehr erfahren
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