Kobo und Rakuten gehen in die Offensive

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Vor wenigen Tagen wurde der Kobo Glo HD – nachdem dieser zuvor geleakt wurde – offiziell vorgestellt. Damit aktualisiert das kanadisch-japanische Unternehmen das 6 Zoll Angebot, das im vergangenen Herbst wider Erwarten kein Update erhalten hatte. Damals wurde „nur“ der Kobo Aura H2O vorgestellt, der zwar ein ausgezeichneter eReader ist, allerdings mit einem relativ hohen Preis in erster Linie bereits überzeugte Digitalleser anspricht.

Mit dem Glo HD verfolgt Kobo nun eine andere Strategie und bietet ein preiswertes, technisch anspruchsvolles Gerät an, das der Konkurrenz das Fürchten lehren und die Abwärtspreisspirale der Mitbewerber noch beschleunigen könnte.

Das neue Kobo Lesegerät kommt zu einer unverbindlichen Preisempfehlung von 129 Euro auf den europäischen Markt und tritt preislich die direkte Nachfolge des ersten Kobo Glo (ohne „HD“) an. Der tatsächliche Clou an diesem Preis ist jedoch weniger in den eigenen Reihen zu suchen, als vielmehr im Vergleich zu den anderen Herstellern.

Vielversprechende Technik zum Spitzenpreis

Unterschiedliche Konzepte zum gleichen Preis.

Der Kobo Glo HD kostet gleich viel wie der Tolino Vision 2, bietet jedoch den viel höher auflösenden Bildschirm (300ppi vs. 212 ppi) mit (vermuteter) Infrarot-Touchscreentechnik und der damit vermeintlich noch besseren Ablesbarkeit. Zusätzlich zur billigeren Konkurrenz durch den Kindle Paperwhite (für 99 Euro) ist der aktuelle Preis des Vision 2 durch den technisch moderneren Glo HD damit eigentlich nur noch schwer rechtzufertigen.

Der Wasserschutz und die Tap2flip-Funktion sind zwar brauchbare und sinnvolle Zusätze, aber letztendlich liegt der Fokus eines dedizierten Lesegeräts eben doch auf einer möglichst guten Bildschirmperformance.

Aber nicht nur die Tolino-Allianz wird preislich nachbessern müssen, auch Amazon könnte in Bedrängnis kommen. Kobos Mutterunternehmen Rakuten dürfte bei der Preisgestaltung ohnehin den US-Versandhändler (sowohl den Kindle Voyage, als auch den Paperwhite) im Auge haben.

Der Kobo Glo HD wird als direkter Konkurrent mit den gleichen Bildschirmspezifikationen angeboten wie der Voyage, kostet (hierzulande) allerdings über 30 Prozent weniger. In anderen Worten: Für Kobos neuestes Lesegerät muss man 60 Euro weniger auf den Tisch legen, bekommt aber die gleiche Abbildleistung. Insbesondere weil der Kindle Voyage seit dem Start auch noch mit Anzeigeproblemen wegen Verfärbungen der eingebauten Beleuchtung zu kämpfen hat, dürfte den meisten Kunden die Wahl zum günstigeren Kobo eReader (mit ePub-Unterstützung) nicht schwer fallen.

Das gilt natürlich nur, wenn der Glo HD fehlerfrei funktioniert und nicht ähnliche Qualitätsprobleme oder Anzeigefehler besitzt. Das wird sich in Kürze mit den bald erscheinenden Testberichten zeigen.

In Nordamerika wird der neue Kobo eReader aber nicht (nur) gegen den Voyage positioniert, sondern in erster Linie gegen den dort gleich bepreisten Kindle Paperwhite. Anders als hierzulande muss man in den USA (und Kanada) für den Paperwhite zwischen 119 US-Dollar (werbegestützt) und 139 US-Dollar (ohne Werbung) auf den Tisch legen. Damit ergibt sich für Amazon am Heimatmarkt (trotz dem, dass Kobo nur ein vergleichsweise kleiner Mitbewerber ist) das gleiche Dilemma wie für die Tolino-Partner hierzulande. In Deutschland ist der Paperwhite übrigens nur so günstig zu haben (99 Euro), da sich Amazon und die Tolino-Allianz in einem aggressiven Kampf um die Marktanteile befinden.

Auf jeden Fall ist der Start des High-End-Glo-HD zum günstigen Preis ein klares Signal, dass Rakuten den internationalen eReading-Markt aufmischen will. Bereits mit dem Aura H2O hatte man ein wichtiges Zeichen gesetzt und der Glo HD untermauert den Anspruch zum internationalen Markführer am digitalen Lesemarkt zu werden.

Dedizierte Lesegeräte weiterhin Schlüssel zum Erfolg

Das ist auch insofern interessant, als dass der heilige Gral des digitalen Lesemarktes vor nicht allzu langer Zeit bei den Tablets zu suchen war. Viele Analysten und Marktbeobachter haben auf Basis diverser Umfragen und der fallenden Nachfrage bei dedizierten Lesegeräten vorhergesagt, dass die Geräteklasse bald von den multifunktionalen Flachcomputern kannibalisiert werden würde. Tatsächlich hat sich aber gezeigt, dass sich eBook Reader als eigene Geräteklasse neben Tablets etabliert haben.

Das prominenteste Opfer der Tablet-Fehleinschätzung ist der US-Buchhändler Barnes & Noble, der mit seinem Fokus auf die Nook-Tablets den Anschluss an Amazon verloren hat und mittlerweile mit laufend neuen Negativmeldungen zur Geschäftsentwicklung kein ernstzunehmender Konkurrent für den US-Versandriesen mehr ist.

Contentangebot rückt in den Fokus

Der japanische Versandhändler Rakuten verlässt sich jedoch nicht nur auf hochwertige eBook Reader, sondern hat mit der kürzlich angekündigten Übernahme von Overdrive auch am Content-Markt von sich reden gemacht. Damit könnte Rakuten-Kobo auf lange Sicht den aktuell größten Nachteil des internationalen Angebots ausräumen.

Das eBook-Sortiment in den nicht-englischsprachigen Märkten ist nämlich weiterhin merklich kleiner als bei der nationalen Konkurrenz (und Amazon). Das trifft auch auf das deutschsprachige Angebot Kobos zu.

Nun könnte sich dieser Umstand mit Overdrive als Rückendeckung aber bald ändern, was insbesondere eine Kampfansage an Amazon als Global-Player wäre. Aber auch die Tolino-Partner werden die Entwicklung mit einem wachsamen Auge verfolgen, denn auch deren internationale Wachstumspläne könnte Kobo durcheinanderbringen.

Es sieht so aus, als ob die Kobo-Acquisition durch Rakuten im Jahr 2011 langsam Früchte trägt und das kanadische Unternehmen langsam aber sicher auf einen nachhaltigen Expansionskurs gebracht wird. Nun darf man natürlich gespannt sein, ob die Offensive auf lange Sicht erfolgreich sein und wie die Konkurrenz auf den erstarkten Mitbewerber reagieren wird.

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Noch bevor Kindle und Tolino in Deutschland an den Start gegangen sind, hat Chalid seinen ersten eBook Reader im Jahr 2007, aus Begeisterung an der Technik, aus den USA importiert. Als Mitbegründer und Chef-Redakteur hat er seit der Gründung von ALLESebook.de, im Jahr 2010, inzwischen über 100 eReader zahlreicher Hersteller getestet. Mehr erfahren
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